Altes Wissen des Koryu im modernen Wado Ryu Karate erkennen und bewahren
Wado und TSYR Pfingstlehrgang mit Toby Threadgill (USA) und Shuzo Imai (Deutschland)
vom 14. bis 16.05.2016 in Berlin
(Christina Gutz)
Mehr als 110 Teilnehmer trafen sich zum Wado und TSYR Pfingstlehrgang 2016 in Berlin. Geleitet wurde das Training von Toby Threadgill (Menkyo Kaiden, Takamura-Ha Shindo Yoshin Ryu) und Shuzo Imai (8. Dan Wado Ryu).
Wado Ryu wurde von Hironori Otsuka (1892 – 1982) gegründet und basiert auf zwei Säulen: Dem Shindo Yoshin Ryu (SYR) und dem Okinawa-Karate. Die historische Verbindung des Wado Ryu mit dem SYR findet sich heute in den Konzepten und Kernprinzipien des SYR, die Hironori Otsuka in das Wado Ryu übertragen hat.
Am ersten Lehrgangstag vermittelte Toby Threadgill diese Kernprinzipien im Takamura Ha Shindo Yoshin Ryu (TSYR) mit Kata[1] und Kunren[2] und Shuzo Imai am Beispiel von Kihon Kumite 1 – 10 (den zentralen Partnerkata des Wado Ryu). Am zweiten Lehrgangstag wurde die Erforschung dieser Prinzipien via Tantodori im Wado Ryu und TSYR fortgesetzt. Den dritten Tag nutzte Toby Threadgill zur Vertiefung an Hand ausgewählter Kata des TSYR. Shuzo Imai verdeutlichte in seinem Unterricht, dass sich im aktuellen Dan-Prüfungsprogramm des Wado Ryu die Kernprinzipien wiederfinden, die Otsuka vom SYR in das Wado Ryu transferierte. Da die Teilnehmer in zwei Gruppen wechselweise bei Toby Threadgill und Shuzo Imai trainierten, konnten sie unmittelbar die Verbindung zwischen TSYR und Wado Ryu, zwischen Koryu[3] und modernen Wado Ryu, erfahren.
Kihon, Kunren und Kihon Kumite
Im TSYR und im Wado bildet das Kihon die Basis. Sowohl Toby Threadgill als auch Shuzo Imai setzten deshalb auch Kihon an den Anfang ihres Trainings und bauten hierauf alles Weitere auf.
Toby Threadgill begann mit Übungen zu Fußbewegungen und Schrittabfolgen, die bei richtiger Ausführung das Wahren der Körperstruktur (Chushin Tadasu), Flexibilität und Geschmeidigkeit ermöglichen. In den sich anschließenden Kunren versuchten die Teilnehmer ihre Balance zu wahren und zugleich den Partner zu kontrollieren. Anschließend ließ Toby Threadgill verschiedene Dan-Träger Kihon Kumite 1, 2, 3 und 6 demonstrieren und arbeitete mit den Teilnehmern die Prinzipien heraus, die Kihon Kumite 1 – 10 so subtil und effektiv machen. Diese Prinzipien haben ihren Ursprung im SYR: Otsuka extrahierte das umfassende Curriculum des SYR und entwickelte unter Einbehaltung der Prinzipien Kihon Kumite 1 – 10. Als Beispiel demonstrierte Toby Threadgill eine Schwertkata des TSYR, bei der aus der Ableitung des Angriffs der Konter erfolgte. Eben dies findet sich in Kihon Kumite 4 des Wado Ryu wieder: Technikabfolge und Prinzipien wie Ausweichen (Taisabaki), Eindringen (Irimi) und Position der Kontrolle (Tsukuri).
Shuzo Imai ging in seinem Training zu Kihon Kumite 1 – 10 auf Kernprinzipien des Wado Ryu ein: San-mi-ittai mit Ten-i, Ten-tai und Ten-gi[4]. Er betonte und demonstrierte, dass San-mi-ittai und das Arbeiten aus der Entspannung sowie die richtige Fußarbeit[5] die Techniken schnell, stark und effektiv werden lassen. Wie Toby Threadgill zeigte auch Shuzo Imai, dass es darum geht, sich der Prinzipien bewusst zu werden. Indem er den Teilnehmern zahlreiche Anwendungen zu Kihon Kumite 1 – 10 zeigte, trainierten sie, diese Prinzipien zu erkennen und umzusetzen. Zugleich wurde ihnen bewusst, dass ohne ständiges Training es nicht möglich ist, sich zu verbessern und die Prinzipien und Technikabläufe zu verinnerlichen.
Tantodori
Mit ihrem Unterricht zu Tantodori bauten Shuzo Imai und Toby Threadgill unmittelbar auf diesen Grundlagen auf: Sowohl in den traditionellen Tantodori des TSYR als auch in denen des Wado Ryu erkannten die Teilnehmer, dass über das Umsetzen der Prinzipien, die den Kern der Übungen ausmachen, fließende und aus der Entspannung kommende Techniken möglich werden. Wichtig ist allerdings, dass die Kata vertraut und ihre Bewegungsabläufe verinnerlicht sind. Dazu gehört auch, beim Trainieren Fehler zu machen, aus ihnen zu lernen und nicht aufzugeben – oder wie Shuzo Imai es ausdrückte: „Wer Shoden nicht gemeistert hat, kann Okuden nie erreichen.“[6],[7]
„Lazy Body, Zero Power and Lazy Zazen”
Die Teilnehmer stimmten Toby Threadgill zu, der sagte, dass es wichtig sei zu wissen, aus welchen Gründen Otsuka die Kihon Kumite 1 - 10 aus den 305 Kata des SYR entwickelte: 1. Durch intensives Trainieren dieser sehr gut durchdachten Kihon Kumite können wir lernen, die Prinzipien ohne Anspannung auszuführen. 2. Wir können gemeinsam mit dem Partner üben: „Handle im Einklang mit deinem Partner, so dass er dahin geht, wo du möchtest und dies so weich wie möglich“. 3. Im Kampf können wir siegen, indem wir den Gegner zum Beispiel nicht an uns heranlassen: “Ich lasse ihn nicht mein Zentrum fühlen.“[8] Toby Threadgill schlussfolgerte, dass Otsuka eben dies mit „lazy body“ und „zero power“ meinte.
Hironori Otsuka erweiterte diese Gedanken und sprach auch von „lazy zazen“: Das Meistern des Shodens hin zum Okuden ermöglicht es auch, über die Prinzipien das Wissen und Können zu transferieren und so Neues und Ähnliches zu entdecken und dabei die Tradition und die Ursprünge des Wado zu bewahren. Dies vermittelte Shuzo Imai an Hand von Varianten zu den traditionellen Tantodori des Wado Ryu im Sinne von Otsuka: „Die Fertigkeiten des ‚Budo‘ ändern sich ständig. Folglich gibt es keine Grenzen.“[9]
Wado Pfingstlehrgang 2017
Wir laden alle an Martial Arts Interessierten zu unserem Wado Pfingstlehrgang 2017 nach Berlin ein.
[1] Im TSYR werden alle Kata als Partnerkata ausgeführt.
[2] Kunren sind Partnerkata im TSYR, die die innere Kraft (Nairiki) schulen.
[3] Im Unterschied zum Koryu, den traditionellen japanischen Kampfkünsten, die vor dem Beginn der Meiji Restauration 1868 entstanden, gehört Karate zum Gendai Budo, den Kampfkünsten, die nach 1868 in Japan gegründet wurden.
[4] San-mi-ittai sind drei typische Bewegungsarten der Körperverlagerung. Kihon Kumite 1 – 10 bieten vielleicht das beste Beispiel hierfür. Ten-i: Änderung der Position oder ein Wegbewegen vom Angriff. Ten-tai: Drehen und Wiederausrichten des Körpers, um so eine günstige Position zum Angreifer einzunehmen und eine geringere Angriffsfläche zu bieten. Ten-gi: Änderung der Technik, während der Angriff 'durchlaufen' wird.
[5] Soku-Fußbewegung: Der ganze Körper geht vor (sok – zusammen).
[6] Shuzo Imai, Wado und TSYR Pfingstlehrgang in Berlin, 15.05.2016
[7] „Okuden (jap.: 奥伝) ist die „Weitergabe des Versteckten“ und Synonym zu hiden („Weitergabe des Geheimen“). Bezeichnung für die Übermittlung der hintergründigen Lehren einer Kampfkunst. Okuden … bezieht sich auf jenen Teil der Übung, in dem die Form der Technik (omote) bereits gemeistert ist.“ Aus: http://www.budopedia.de/wiki/Okuden (Stand: 26.05.2016)
[8] “Harmonize with your partner that he goes where you want as softly as possible.” „I don’t let him feel my center“ Toby Threadgill, Wado und TSYR Pfingstlehrgang in Berlin, 14.05.2016
[9] „The skill of ‚Budo‘ is ever changing. Consequently there is no limit for it.” Hironori Otsuka: Lazy-Zazen. Lazy Meditaion and Budo Seishin. Spirits of Material Arts by the late Sensei Ohtsuka. http://www.wadoworld.com/articles/lazyzazen/lazyzazen.html (Stand: 21.11.2011)